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Christiane Möbus

*1947 in Celle
Lebt und arbeitet in Hannover und Berlin

rette sich wer kann (Neon), 2020

Neonröhre, Plexiglas
28 x 290 x 8 cm
Galerie Volker Diehl, Berlin



Bunte Neonschriften, die Innenräume von Bars, Cafés und Wohnungen schmücken, sind meist Trägerinnen von motivierenden Sprüchen wie good vibes only oder believe in your dreams. Sie sind dafür gedacht die Betrachter*innen zu ermutigen, ein "besseres" Leben zu führen, ihnen gute Laune zu bereiten und hippe Atmosphären zu schaffen. Mittel um das Leben durch eine rosarote Sonnenbrille zu sehen. Diese Funktion setzt Christiane Möbus ab. In ihrer Leuchtschrift „rette sich wer kann“ steht nicht nur der romantisierende Schriftzug in Kontrast zu der kalt-blauen Farbe der Neonröhren. Christiane Möbus
(Foto: David von Becker, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

In ihr verbirgt sich ein beängstigender und egoistischer Grundgedanke, der dazu aufruft, das eigene Leben zu schützen. Er fördert eine darwinistische und egozentrische Überlebenshaltung gegenüber Mitmenschen, die keine Rücksicht auf den Nächsten bereithält. Eine selbstbezogene Aussage, die kollektive Verhaltensformen verneint und einen anarchischen Zustand befürwortet.

Rette sich wer kann ist auch ein Motto, das im Bereich der maritimen Sprache, angesichts von Notfällen wie einem Schiffbruch, Verwendung findet. Jedoch herrscht in diesen Fällen keine Anarchie, sondern festgesetzte Hierarchien, die bestimmen, in welcher Reihenfolge die Passagiere in Sicherheit gebracht werden sollen. Somit stellt die Künstlerin Christiane Möbus einen Bezug zwischen Schriftzug und dem Meeresbereich her. Meist ist „rette sich wer kann“ Teil einer Installation, die sich aus zwei parallel zueinander aufgebockten Rettungsbooten zusammensetzt. Diese sind mit kubisch geformten Heuballen, die an Transportgüter von Containerschiffen erinnern, gefüllt und können somit die Kapazität von zehn Personen pro Boot nicht erfüllen. Die Botschaft liegt auf der Hand: heutzutage ist der globale Warenverkehr wichtiger als Menschenleben.

Die Diskrepanz zwischen der Verkehrsfreiheit von Waren und die der Menschen zeigt sich regelmäßig in den Schlagzeilen der Zeitungen.

Mare Nostrum (lat. “unser Meer”) war die römische Bezeichnung für das Mittelmeer. Doch mit Gemeinnutzung hat es nichts mehr zu tun. Inzwischen ist es zum Schauplatz geografischer und ethnischer Diskriminierung geworden, das das Eindringen in die „europäische Festung“ – für manche die Küste der Hoffnung – von Menschen auf der Suche nach Zuflucht sabotiert.

Das Mittelmeer ist zu einem riesigen Massengrab geworden. Laut Angaben des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) sind zwischen den Jahren 2014 und 2021 mehr als 24.400 Menschen im Mittelmeer ums Leben gekommen.

Erst am 26. Februar 2023 ist ein Fischerboot mit Migrant*innen an Bord wenige Meter vor der kalabrischen Küste gesunken. Die Zahl der Opfer beträgt am 15. März mindestens 86 Leben. Es hat sich eine große Debatte eröffnet, da eine obligatorische Rettung von den italienischen Behörden ausgeschlossen wurde. Die Tragödie von Cutro ist nur eines der zahlreichen Beispiele, in denen sich zeigt, dass die Politik Hilfeleistungen verwehrt. Zugleich spricht der Innenminister Italiens, Matteo Piantedosi, bezüglich der Ankunft von Migrant*innen von „carico residuale” (ital. “Restlast”). Eine Aussage, die die Logik der Entpersonalisierung und Kommerzialisierung von Menschen propagiert. Im Bereich der Einwanderung tritt entweder das Motto Rette sich wer kann in Kraft, oder es entscheiden Gesetze, den illegalen Migrationsströmen entgegenzuwirken und zugleich “qualifizierten” Migrant*innen Zugang zu gewähren.

(E.T)

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