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Simon Mullan

*1981 in Kiel
Lebt und arbeitet in Berlin und London

Popularis Tresen, 2023

Fliesen, Fugenmasse, Wedi-Platten, Alu-Traversen
150 x 40 x 1100 cm
Leihgabe des Künstlers



Was passiert mit einem Kunstwerk, wenn es in den Kontext eines öffentlichen Raumes verlegt wird, insbesondere wenn es das Erscheinungsbild eines Gebrauchsgegenstandes trägt? Was für eine Wechselwirkung entsteht zwischen dem Werk und dessen unmittelbare Umgebung? Simon Mullans Skulptur „Popularis Tresen“ fand zuvor seinen Platz auf einer Grünfläche in der Nähe vom Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Während ihres viermonatigen Aufenthaltes im Scheunenviertel verschmolz die Skulptur mit den Lebensgewohnheiten des Kiezes. Aufgrund der zahlreichen Getränkeläden etablierte sich der Ort zum Treffpunkt, um ein Bier zu trinken oder sein Mittagessen zu verzehren. Schon seit der Inauguration am 18. Juni 2022 nutzten Besucher*innen und Passant*innen den Tresen als Ablageort für Getränke und Essen. So wurde er zu einem Ort der Geselligkeit. Simon Mullan
(Foto: David von Becker, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Popularis (aus dem lat. des Volkes) bezeichnet eine wichtige Komponente des Kunstwerkes. Der Tresen wurde vornehmlich für die Öffentlichkeit und dessen Verwendung konzipiert.

Er soll dazu dienen, die Hürden, die im Umgang mit Kunstwerken und dessen Verständnis bestehen, niederzureißen und einen Raum der Begegnung zwischen Kunst und Gesellschaft zu eröffnen. Eine weitere Beschäftigung, die sich an der Skulptur zugetragen hat, ist die des Diskutierens. Diese wurde sowohl von der Umgebung, die von dem Theater Volksbühne als auch von den regelmäßig dort stattfindenden Demonstrationen gekennzeichnet ist, als auch von dem Erscheinungsbild des Tresens selbst unterstützt, der durch seine einfachen Formen und Farben einen neutralen Schauplatz für Gespräche versinnbildlichte.

Darüber hinaus erläutert Simon Mullan in einem Interview, dass Kunstwerke in öffentlichen Räumen oftmals aufgrund ihrer markanten Wiedererkennungsmerkmale die Funktion von Treffpunkten einnehmen. Sie werden somit für die Gesellschaft zu Orientierungspunkten in der urbanen Landschaft.

Ein weiterer Aspekt, den die Bezeichnung Popularis beinhaltet und die kennzeichnend für Simon Mullans künstlerische Tätigkeit ist, ist die Nutzung von herkömmlichem, handelsüblichem Material. Die verwendeten Kacheln erinnern an die Fliesen von Badezimmern, Schwimmbädern und U-Bahnhöfen. Auch die Vorgehensweise bei der Entstehung der Skulptur weicht von der üblichen künstlerischen Herangehensweise ab. Simon Mullan skizziert nämlich nicht vorerst die Anordnung der einzelnen Kacheln, sondern fängt an einem Ende an und arbeitet sich ausgehend von den bereits gelegten Kacheln intuitiv an dem Kunstwerk voran. Bei der Fragmentierung der einzelnen Kacheln, um diese an die Struktur des Objektes anzupassen, soll dabei kein Verschnitt entstehen. Daher weisen die Fliesen unterschiedliche Formen auf und sind in besonderen Winkeln angelegt. Es findet eine Translation statt, die gewöhnliche Materialien in eine abstrakte Zeichnung, die die Oberfläche der Skulptur einnimmt, wandelt und Züge vom Konstruktivismus sowie der abstrakten Kunst beinhaltet. Aus Dekonstruktion und Unregelmäßigkeit entsteht letztlich ein harmonisches und symmetrisches Gesamtbild.

Angesichts der diesjährigen Skulpturen-Triennale in Bingen wird sich zeigen welche gesellschaftlichen Konstellationen das Kunstwerk ermöglichen wird, wie seine Präsenz die Bewohner*innen von Bingen prägt und ob sich die Skulptur in ihre unmittelbare Umgebung einbetten wird.

(E.T)



Alles wird Gut, 2023

5 Fahnen, Textil
je 250 x 120 cm
Leihgabe des Künstlers



Alles wird gut, eine Phrase, die im deutschsprachigen Raum eine ermutigende Redewendung verkörpert, wurde unter an derem in Italien zum Slogan für die COVID-19-Pandemie. Unzählige Male online geteilt und an öffentlichen Räumen aufgehangen, „Andrà tutto bene” war die Botschaft – oft von Kindern mit Regenbogen und Herzen gezeichnet – die während des ersten Aufschwungs der Pandemie in Italien zwischen unzähligen Mit bürger*innen geteilt wurde und die Balkons, Kirchen, Bushaltestellen, Schaufenster und Parks des Landes belebte. Simon Mullan
(Foto: David von Becker, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Simon Mullans Flagge ziert ebenfalls seit der Wiedereröffnung im April 2020 den Eingang der Berliner Galerie Dittrich & Schlechtriem und soll den Passant*innen und Besucher*innen die vereinende Botschaft übermitteln: Wir sind alle im selben Boot. Im Gegensatz zu Italien, wo diese Fahnen den Anfang von einer noch unbekannten Lebenssituation symbolisierten, wurde Simon Mullans Flagge nach der ersten Welle der Pandemie aufgehängt und stellt einen Neuanfang dar, der mit der Lockerung der Maßnahmen und der daraus resultierenden Eröffnung der Galerie in Verbindung steht.

„Alles wird gut” wird nicht nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingesetzt, sondern ruft in verschiedenen Kulturräumen auch divergierende Assoziationen hervor.

Dennoch ist die Intention für dessen Gebrauch dieselbe: Hoffnung geben. Ob dem in Kiel geborenen Künstler Simon Mullan der Einsatz von „Alles wird gut” bzw. „Andrà tutto bene” Flaggen in Italien bewusst war, bleibt unbeantwortet. Jedoch spielt die COVID-19-Pandemie ebenfalls eine wichtige Rolle in der Entstehung von diesem Kunstwerk. Angesichts der ungewissen Zukunft wurde der künstlerische Ausdruck zu einem Bewältigungsmechanismus, der mannigfaltige Produkte sowie Kunstwerke hervorgebracht hat. Während der Isolation hat Simon Mullan sich der Handarbeit gewidmet, die während der Pandemie zu einem medial vermittelten “Trend” wurde. Jeder Buchstabe wurde von dem Künstler selbst ausgeschnitten und auf den grünen Hintergrund – der eine Referenz für seine irischen Wurzeln ist und historisch für Hoffnung, Revolution und Verbundenheit steht – genäht. Demnach steht nicht nur die Botschaft des Kunstwerkes im Vordergrund, sondern auch dessen Herstellungsprozess, der ein Spiegel für die Lage ist, in der sich der Künstler sowie die gesamte Gesellschaft zu dem Zeitpunkt befand.

Wenn diese drei Worte aufbauend und motivierend wirken, so sind sie zugleich provokativ. Dienen sie dem Ertragen der Gegenwart in der Hoffnung, dass die Zukunft besser wird? Kann die Zukunft “Gutes” versprechen und wenn ja, kann dieser Begriff universell angewandt werden oder ist er individuell und ungleich verteilt?

Übertragen auf die COVID-19 Pandemie: besteht die Möglichkeit, die Wunden, die von der COVID-19-Pandemie verursacht wurden, wieder zu heilen? Ist es möglich zu behaupten, dass alles gut geworden ist, wenn die Vergangenheit nicht ausradierbar ist?

(E.T)

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