Jimmie Durham
*1940 in Washington/Arkansas, Vereinigte Staaten von Amerika
Lebt und arbeitet in Berlin und Rom
Core Sample from St. Peter’s Cathedral, Three Stones, Wittgenstein House Vienna, 1996
Das Kunstwerk „Core Sample from St. Peter’s Cathedral“ ist dem Titel nach eine Bohrprobe aus dem Petersdom in Rom, die der Künstler 1996 zusammen mit zwei weiteren Steinen – einer Bohrprobe aus dem Europäischen Parlament sowie einem „beer stein“, einem Bierhumpen – 1996 im Haus Wittgenstein in Wien ausgestellt hat. Ausgehend von dem Titel des Werkes könnte sich der Betrachter fragen, in welchem Kontext die Bohrprobe wohl entnommen und zu dem Künstler gekommen sei. Ist der Bohrkern ein Relikt aus einer archäologischen Untersuchung? Gar eine verehrungswürdige Reliquie? Dazu befragt, erklärt Durham die Arbeit jedes Mal mit einer anderen Geschichte. Dass er gerne geheimnisvoll bleibt, betrifft sein gesamtes Schaffen. Durham lässt die Frage, ob der Stein wirklich aus dem Petersdom stammt, offen und unbeantwortet und schafft dadurch Geheimnisse, Mythen und Aura.
Steine spielen eine wichtige Rolle im künstlerischen Schaffen und Verständnis Durhams. In einem Interview sagte er: „Nehmen Sie einen Stein. Er kann ebenso gut tot wie lebendig sein. Ein Material lebt und hat einen bestimmten Willen. Auch ein Objekt. In Europa mag das primitiv oder naiv klingen, aber das ist es nicht.“1 Seine intensive Auseinandersetzung mit dem Material des Steins begann, als Durham 1994 – nach dem Studium in Genf, politisch aktiven Zeiten in Amerika und einigen Jahren in Mexiko – nach Europa zurückkehrte und ihm auffiel, welche gewichtige Bedeutung dem Material Stein in Europa beigemessen wird. Wenn etwas wahr ist, so wird davon gesprochen, es sei „in Stein gemeißelt“, was nach Durhams Verständnis der christlichen Vorstellung entstammt, dass Gott seine Gesetze auf steinerne Tafeln schrieb. Aus Durhams Perspektive behandeln Europäer Stein als träge und zugleich ewige Materie.
In vielen seiner Werke setzt sich Durham mit dem westlichen, oft von christlichen Kontexten geprägten Denken auseinander. So „steinigte“ er beispielsweise 1996 in Frankreich einen Kühlschrank, dem er den Titel „St. Fridge (Heiliger Kühlschrank)“ gab. „Statt aus Natursteinen ein Artefakt zu machen, nahm ich sie, um ein Artefakt brachial zu verändern und in eine Art Naturzustand zu versetzen. Ich dachte, der Kühlschrank sei so neutral, dass es niemanden groß berühren würde. Aber mir tat er schon am ersten Tag leid. Es fiel mir schwer, die Sache zu Ende zu führen“2, so der Künstler. Durham attackiert mit dem Kühlschrank nicht einfach nur einen Gegenstand, sondern das historische westliche Paradigma der Eroberung der Natur durch Zivilisation und technologischen Fortschritt.
Ob Durham, der von sich selbst sagt, er sei indianischen Ursprungs, wirklich Cherokee ist, ist umstritten und war 2017 in Amerika Thema einer erbitterten Diskussion. Für die Bedeutung seiner Werke ist die Beantwortung dieser Frage letztlich nebensächlich.
Wichtig ist, dass der Künstler durch sein Schaffen die Denkmuster einer westlich-zentrierten Weltsicht offenlegt und alternativen, nicht-westlichen Denkweisen eine Stimme und Sichtbarkeit gibt.
Die von Spiritualität, Respekt vor der Natur und einem tief verankerten Gemeinschafssinn getragenen Lebensweisen der indigenen Völker stellen für ihn eine wichtige Alternative zum westlich-kapitalistischen Denken dar.
1Michael Stoeber: „Jimmie Durham – Es geht nicht um mich, es geht um uns. Ein Gespräch mit dem Kaiserringträger der Stadt Goslar 2016“, in: KUNSTFORUM International, Band 244, 2017.
2Id.
Die Basilika St. Martin mit den Kunstwerken von Jenny Holzer und Jimmie Durham ist samstags von 14 -16 Uhr und sonntags von 14 - 17 Uhr geöffnet. Auch die künstlerische Ausstattung der Basilika mit einer Thronenden Muttergottes aus dem frühen 14. Jahrhundert und den zur Blütezeit der Gotik entstandenen anmutigen Figuren der Heiligen Katharina und Barbara im weichen Stil des Mittelrhein lädt zusammen mit anderen herausragenden Kunstwerken zu einem Rundgang ein.