Hans Dammann
1867 in Proskau/Preußen,
gest. 1942 in Berlin
Denkmal für Ludwig IV. Großherzog von Hessen und bei Rhein (1837 – 1892), 1913
Weit über dem Betrachter, auf hohem Sockel, steht ein Mann in Militäruniform, ausgestattet mit Helm, Fernglas und Säbel, den Blick nach vorne gerichtet. Das „Denkmal für Ludwig IV. Großherzog von Hessen und bei Rhein“ erinnert an die über 100 Jahre dauernde Episode, in der Rheinhessen und somit auch die Stadt Bingen von 1816 bis 1919 zum Großherzogtum Hessen gehörte.
Der Dargestellte, Ludwig IV., wurde 1837 als ältester Sohn des Prinzen Carl von Hessen und der Prinzessin Elisabeth von Preußen geboren. Nach dem Studium der Geschichte und Rechtswissenschaften trat er in den preußischen Militärdienst ein, 1862 heiratete er Alice von Großbritannien. Nach dem Tod seines kinderlosen Onkels wurde er 1877 Großherzog von Hessen und bei Rhein. Seine Herrschaft zeichnete sich durch eine liberale Haltung aus, die nicht zuletzt auf den Einfluss seiner Ehefrau zurückzuführen war. Er förderte während seiner Regentschaft nicht nur Wirtschaft und Verkehrswesen, sondern auch Wissenschaft, Bildung, öffentliche Wohlfahrt sowie die Kunst. Ludwig IV., der sich in der Deutschen Frage zu Preußen bekannt hatte, führte als Kommandeur im Krieg 1870/71 die hessische Division gegen Frankreich und wurde nach Kriegsende mit seinen Truppen jubelnd in Darmstadt empfangen. 1891 wurde er von Kaiser Wilhelm II. zum Generaloberst der Infanterie ernannt, 1892 starb er an den Folgen eines Schlaganfalls. Dass das Denkmal in Bingen ihm gewidmet ist, geht auf seinen Sohn Ernst Ludwig, den letzten Großherzog von Hessen und bei Rhein, zurück. Die Binger Bürger wollten eigentlich diesem ein Denkmal setzen. Ernst Ludwig lehnte aber ein Denkmal zu seinen Lebzeiten ab und schlug vor, stattdessen sein Vater zu ehren. 1913 wurde die Statue enthüllt.
Die Bronze, die von dem Berliner Bildhauer Hans Dammann im Vorfeld des heraufziehenden Krieges geschaffen wurde, stellt nicht die zivilen Verdienste des Landesherrn, sondern seinen militärischen Rang in den Vordergrund. Dammann zeigt den Generalfeldmarschall „in ruhiger Haltung, soldatisch einfach und straff“, wie die Mittelrheinische Volkszeitung zur Einweihung schrieb. Auch die Aufstellung des Denkmals am Zusammenfluss von Rhein und Nahe, dem westlichsten Punkt des Großherzogtums, und gegenüber dem Niederwalddenkmal, das an den gewonnenen Krieg von 1870/71 und die Gründung des Deutschen Kaiserreiches erinnert, erscheint bewusst gewählt.
Hans Dammann, der von 1888 bis1894 an der Königlichen Hochschule der Bildenden Künste in Berlin studierte, ist als Vertreter des Historismus künstlerisch heute kaum beachtet; zu seiner Zeit war er in Kollegenkreise und in der Öffentlichkeit anerkannt. Seine ersten Aufträge waren bauplastische Arbeiten und ein Brunnenmonument, ab 1899 widmete er sich vor allem der Grabplastik, die fast die Hälfte seines künstlerischen Schaffens ausmacht. 1914 wurde Dammann für seinen 1910 auf der Großen Berliner Kunstausstellung präsentierten und 1914 in Bad Homburg zu Ehren des 25. Regierungsjahres des Kaisers realisierten „Durst-Brunnen“ von Kaiser Wilhelm II. der Professorentitel verliehen (dass Wilhelm II. sich dafür einsetzte, den von Dammann auch für Bad Homburg entworfenen monumentalen Elisabethenbrunnen während der Kriegsjahre bis 1918 fertigzustellen, brachte ihm viel Kritik ein). Ab 1914 erschuf er auch Soldatengrabmäler und schließlich ab 1922 vor allem Kriegerdenkmäler. Seine oft monumentalen Kriegerdenkmäler tragen ab 1930 durchaus revanchistische Züge mit kampfbereit aufgerichteten Soldaten, die Wache stehen.
Was das Standbild nicht verrät, ist seine bewegte Aufstellungsgeschichte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Statue von der französischen Armee in den Rhein geworfen, geborgen, und kurz darauf von den belgischen Truppen zurück in den Fluss gestoßen. Nach dem Abzug der Franzosen stellten die Binger die Skulptur 1929 erneut in den Rheinanlagen auf, bis sie die Amerikaner zu Ende des Zweiten Weltkriegs in den Fluss warfen. Auch wenn sie schließlich geborgen wurde, lag die Bronze zunächst viele Jahre im Bauhof der Stadt Bingen, bis sie 1967 in einem privaten Garten aufgestellt wurde, nicht nur stark beschädigt, sondern auch kopflos und ohne Säbel. Mit der Zeit wurden dem Torso sowohl der Gala-Schleppsäbel, den ein Waffenliebhaber über Jahrzehnte aufbewahrt hatte, als auch der Kopf mit Helm, den ein Schüler Ende der 40er-Jahre im Wald versteckt gefunden hatte, wieder hinzugefügt. 2001 schließlich wurde das Standbild mit einem nach dem historischen Vorbild gestalteten Sockel am ursprünglichen Standort, dem Binger Rheinufer, wieder aufgestellt.
Die Bronze von Ludwig IV. legt beispielhaft dar, wie Zeichen der Erinnerungskultur immer in einem zeitgeschichtlichen Kontext betrachtet werden müssen und wie Geschichtsschreibung und Bildersprache dadurch beeinflusst werden.